Steuerung in den Notfall oder im Notfall?

Der Entwurf zu diesem Artikel ist nach den beiden Flugzeugabstürzen in den USA entstanden. Mittlerweile ist ein weiteres Flugzeug mit tragischem Ausgang in der Nähe des Amsterdamer Flughafens Schiphol abgestürzt.

Aus der Fliegerei lassen sich hervorragende Analogien zum Business Continuity Management ziehen. Das richtige Verhalten in Krisen- und Extremsituationen gehört hier zur Grundausbildung insbesondere des fliegenden Personals. Hierzu gehört aber auch der professionelle Umgang mit Krise, Notfällen und Unglücken.

Ein Beispiel hierfür ist die Krisenstabsarbeit nach der FORDEC-Methode, die in bcm-news bereits beschrieben wurde.

Alle Flugzeugabstürze in der zivilen Luftfahrt werden durch eine Flugunfalluntersuchungsbehörde untersucht. Diese Untersuchungen werden zum Teil mit enormem Aufwand und in schweren Einzelfällen über mehrere Jahre betrieben – ohne Rücksicht auf die entstehenden Kosten. Wrackteile werden zum Beispiel in mühevoller Kleinarbeit von Spezialisten in Hallen wieder zusammengefügt, um den genauen Hergang eines Unfalls ermitteln zu können. In Deutschland ist hierfür die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung BFU in Braunschweig verantwortlich.

Das BFU beschreibt seine Aufgaben in der eigenständigen Untersuchung von Flugunfällen: “… Danach hat die technische Untersuchung ausschließlich zum Ziel, Erkenntnisse zu gewinnen, mit denen künftige Unfälle und Störungen verhütet werden können; die Auswertung des Vorkommnisses sowie die Schlussfolgerungen und Sicherheitsempfehlungen sollen nicht der Klärung der Schuld- bzw. Haftungsfrage dienen.” Die Behörde betont, dass alle Untersuchung eigenständig und ohne Einflussnahme von Dritten durchgeführt werden.

Was können wir im BCM hieraus lernen? Nach der Behebung von Störungen und Notfällen neigen wir dazu, so schnell als möglich in das normale Tagesgeschäft zurückzukehren. Durch den Notfall sind bereits Schäden und Kosten verursacht worden. Zeit und Budget für eine gründliche Nachbetrachtung der Ereignisse bleibt dann oft nicht. Doch können hieraus wichtige Schlüsse zur Weiterentwicklung des Krisenmanagements und Vorsorgemaßnahmen zur Verhütung von Störungen abgeleitet werden. Voraussetzung hierfür ist jedoch eine möglichst genaue Dokumentation des Ablaufs. In der Luftfahrt sind dies Voice-Recorder und Flugschreiber. Im BCM ist es das (hoffentlich geführte) Krisenstabs-Logbuch. Auch sei an dieser Stelle eine Lanze für uns externe Berater gebrochen: eine externe und unabhängige Sicht auf die Dinge, wie es zum Beispiel die BFU in der Luftfahrt praktiziert, hilft objektive Erkenntnisse zu gewinnen und ebenso den Lernprozess mit allen Beteiligten zu moderieren, ohne Schuldzuweisungen.

Doch nun zurück zum eigentlichen Titel dieses Artikels. Kann ein Krisenmanagement durch Fehlsteuerung einen Notfall erst herbeiführen oder die Situation noch zuspitzen? Inwieweit kann ein Notfall durch eine intensive Planung “automatisiert” abgearbeitet werden? Diese Fragen sollen am Beispiel der beiden jüngsten Flugzeugabstürze in den USA diskutiert werden.

In den USA sind innerhalb kurzer Zeit zwei Flugzeuge abgestürzt. Am 15. Januar gerät US-Airways Flug 1549 über New York in einen Vogelschwarm. Beide Triebwerke fallen aus. Das Flugzeug ist erst drei Minuten in der Luft und hat eine Höhe von 1.000 Metern. Pilot Sullenberger (“Sully”) übernimmt sofort das Kommando von seinem Co-Piloten Skiles: “Mein Flugzeug”. Skiles übergibt die Steuerung an den erfahrenen Piloten “Ihr Flugzeug”. In einer meisterhaften fliegerischen Leistung wassert Sullenberger den mit 155 Insassen besetzten Airbus A320 auf dem Hudson. Alle Insassen können gerettet werden. Sully verlässt als Letzter das sinkende Flugzeug und wird als Held gefeiert. Es stellt sich heraus, dass es sich um einen aussergewöhnlichen Profi handelt. Er ist ein ehemaliger Kampfpilot mit über 40 Jahren Flugerfahrung. Zudem ist er Experte für Flugsicherheit und trainiert seine Kollegen für diese extremen Situationen.

Wenige Wochen später. In der Nacht vom 12. auf den 13. Februar stürzt eine mit 49 Menschen besetzte zweimotorige Propellermaschine beim Landeanflug auf Buffalo (US-Staat New York) in ein Haus. Alle Insassen und eine Person am Boden kommen ums Leben. Wie die Verkehrssicherheitsbehörde NTSB später aufgrund der Daten des Flugschreibers ermittelte, war die Maschine entgegen der Regeln der Flugsicherheit vom Autopiloten gelenkt worden. Bei Eiswettter sind die Machinen per Hand zu steuern. Der Pilot hatte kurz vor dem Absturz stark vereiste Tragflächen und Cockpitfenster gemeldet.

Welche Lehren können wir aus diesen beiden Unglücken mit so unterschiedlichem Ausgang für das Business Continuity Management ziehen?

Bei dem Buffalo-Crash kommt mir immer wieder die regelmäßige Diskussion in den Sinn, ob und welche Notfallpläne in einem Notfall quasi automatisiert ausgeführt werden können. Damit verbunden die Frage, wann ist von einem Automatismus auf bewusste Steuerung umzuschalten, um größere Schäden zu vermeiden.

Alles den Plänen zu überlassen kann die Lage nur noch schlimmer machen, wie der Buffalo-Crash zeigt. Doch sind Routinen und Automatismen zwingend notwendig und helfen Sicherheit in den kritischen Momenten zu erhalten. Auch Pilot Sully hat auf diese Routinen zurückgegriffen, wie der Funk mit dem Tower belegt. Dann hat er allerdings die Lage abgewägt, die Verantwortung für Passagiere und Material übernommen und die Maschine am Steuerknüppel selbst notgewassert.

Aus BCM- und Krisenmanagementsicht macht gerade diese Abwägung in Sekundenschnelle die erfolgreiche Bewältigung der Krise / des Notfalls aus.

Übetragen auf das Business Continuity Management, insbesondere auch für die Ausgestaltung der Notfallplanung, bedeutet dies die richtige Balance zwischen Routine, Planausführung und händischem Steuern zu finden.  Dass der Notfall genau so eintritt, wie es die Szenarien der Notfallpläne vorsehen, ist  die ganz seltene Ausnahme. Für die Notfallplanung gehen wir von einer worst-case-Betrachtung aus. Im Notfall selbst haben wir es dann jedoch im Regelfall mit ganz anderen Rahmenbedingungen zu tun:

  • Der impact hat nicht das Ausmaß, wie es die Notfallplanung vorsieht (nur Gebäudeteile betroffen, kein Ausfall der IT, sondern nur Funktionseinschränkungen etc.)
  • Die geschäftlichen Rahmenbedingungen: Urlaubszeit und low season oder Jahresabschlussarbeiten und Kunde mit Großauftrag
  • Markt- und Wettbewerbssituation
  • Wirtschaftliche und finanzielle Lage des Unternehmens
  • Das Unternehmen (oder die Branche) ist aus ganz anderen Gründen gerade in den Medien.

Diese Rahmenbedingungen wirken auf die Entscheidung, ob überhaupt ein Notfall vorliegt und wie auf diesen Notfall angemessen reagiert werden muß. Die Notfallpläne helfen die jeweils geeignete und angemessene Lösung zu finden. Blindes Abarbeiten von Notfallplänen hingegen kann die Situation noch weiter verschlimmern. Als Beispiel sei hier der Bezug von Ausweicharbeitsplätzen zum Beispiel nach einem Gebäudebrand genannt. Der Umzug der Mitarbeiter in die Ausweichlokationen ist mit Aufwand, Kosten und erheblichen Einschränkungen verbunden. Zuvor sollte genau abgewägt werden, wann und wie die betroffenen Arbeitsplätze wieder verfügbar gemacht werden können. Ein oder zwei Tage Totalausfall dieser Arbeitsplätze kann dann sinnvoller sein als ein Umzug in die Ausweichquartiere – wie es der Notfallplan vorsieht – und kurze Zeit später wieder zurück. Diese Vorgehensweise ist wiederum nicht akzeptabel beispielsweise für Arbeitsplätze im Wertpapierhandel. Die Entscheidungen, welche Pläne wann und wie ausgeführt werden beruhen daher auf einer Lagefeststellung und laufenden Lagebeurteilung des Krisenstabs.

Damit soll die Bedeutung der Notfallplanung nicht in Abrede gestellt werden. Im Gegenteil. Aus meiner Sicht liegt die wertvollste Bedeutung der Notfallplanung in der gedanklichen Vorwegnahme von möglichen Notfallszenarien und dem Auseinandersetzen mit Lösungsoptionen. Und natürlich mit dem Üben der Verfahren.

Sully hatte keinen spezifischen Notfallplan für “Triebwerksausfall wegen Vogelschlag 1000 m über New York” im Pilotenkoffer. Doch er hatte sich zuvor mit vergleichbaren Situationen auseinandergesetzt und insbesondere als Kampfjet-Pilot die schnelle Lagebeurteilung und Entscheidungsfindung trainiert. Das Gelernte und Geübte hat er dann auf die konkrete Situation angepasst. Für jede Entscheidungsoption konnte er auf ein festgelegtes und  bewährtes Verfahren zurückgreifen, nach dem er vorzugehen hatte. Sowohl für die Durchführung einer Notwasserung wie auch den Rückflug zu einem der Ausweichlandeplätze. Hätte er auf Autopilot umgeschaltet, wäre er mit Sicherheit nicht als Held in die Geschichte der Luftfahrt eingegeangen!

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