ICE-Unglück: Katastrophenmanagement war ein Desaster

Bereits im Mai diesen Jahres berichtete bcm-news über schwere Vorwürfe gegen das Katastrophenmanagment der Bahn bei dem ICE-Unglück am 26. April 2008 im Landrückentunnel. Bei dem Zusammenstoß des ICE im Landrückentunnel mit einer Schafherde waren 19 Fahrgäste verletzt worden. Der Landrat und Bürgermeister umliegender Gemeinden hatten die lange Wartezeit auf einen Rettungszug der Bahn bemängelt. Jetzt werden diese Vorwürfe offiziell erhärtet.

Zeit online liegt ein Untersuchungsbericht des hessischen Innenministeriums vor, der vor wenigen Tagen an Bahnchef Mehdorn ging. Demnach war das Katastrophenmanagement der Bahn ein Desaster. Zeit online zitiert den Bericht. Zum Einen wird auf bauliche Mängel der Strecke hingewiesen: “Zwingend erforderliche technische Ausstattungen, die heute Stand der Technik sind und bei allen Verkehrsprojekten eingebaut werden, fehlen auf der Schnellfahrstrecke Hannover-Würzburg” so der Bericht. “Der Gleiskörper konnte an dieser gefährlichen Stelle durch Tiere betreten werden, ohne dass dies durch die Bahn bemerkt wurde.”

Auch die Notfallleitstelle hat laut diesem Bericht an mehreren Stellen versagt. Zeit online gibt den Bericht so wieder:

“Sie (die Notfallleitstelle) schätzte die Lage falsch ein, spielte das Unglück herunter, informierte die Rettungskräfte nicht ausreichend und behinderte schließlich sogar die Rettungsarbeiten: Sie verzögerte die Entsendung eines Rettungszugs, obwohl die Entscheidung über dessen Einsatz ihr gar nicht zustand.”

Der vor Ort anwesende Notfallmanager der Bahn habe schliesslich fehlerhafte Informationen weitergegeben und die technische Einsatzleitung wurde nicht einbezogen. Als die Rettungszüge schliesslich verspätet eintrafen war ein Fahrer nicht nüchtern und der andere Fahrer war nicht in der Lage die Tehnik zu bedienen. Schließlich fehlte auch noch der Schlüssel, um die Türen der Rettungsstollen von aussen zu öffnen.

Und wie reagiert die Bahn? Die Bahn weist die “Spekulationen” zurück.

Offensichtlich ist hier so ziemlich alles schief gelaufen, was schief gehen konnte. “Einzig der Einsatz der Rettungskräfte wurde gelobt.”

Es bleibt zu hoffen, dass die Bahn aus diesen Erfahrungen lernt. Allerdings ist die Schwachstelle der Rettungszüge bereits seit einer Übung von 2003 bekannt. Was nützen Übungen, wenn die Erfahrungen nicht umgesetzt werden?

Die Sicherheit in den Zügen ist nach meinen ganz subjektiven Eindrücken auch ohne die aktuelle Vorkommnisse um die Risse in den Laufrädern deutlich verbesserungswürdig. Da ich in letzter Zeit regelmäßig zwischen Flugzeug und Zug als Transportmittel wechsle, vergleiche ich hier einmal meine Eindrücke des Sicherheitsmanagements und der Notfallvorsorge in den beiden Verkehrsmitteln.

Ist ein Vergleich überhaupt statthaft? Nach meiner Überzeugung sollten gewisse Sicherheitsstandards absolut vergelichbar sein.

Beide Verkehrsmittel trasnsportieren eine große Anzahl an Reisenden und bei einem Unglück ist eine Katastrophe mit vielen Verletzten und Toten wahrscheinlich (siehe ICE-Unglück von Eschede).

Wie geht die Flugbranche mit diesem Thema um?

Das (Hand-) Gepäck wird kontrolliert, alleinreisendes Gepäck ohne mitreisende Passagier wird vor dem Start wieder ausgeladen. Flüssigkeiten an Bord sind verboten, Telefonieren ist (noch) untersagt. Diese Sicherheitsmaßnahmen erwarten wir von der Bahn (natürlich?) nicht. Würde es doch zumindest bei inländischen Reisen einen großen Vorteil der Bahn zunichte machen. Doch wie sieht es mit dem Personal aus?

Die Flugbegleiter(innen) verbinden wir in erster Linie damit, dass Sie auf dem Flug für unser leibliches Wohl sorgen und werden daher auch bösartig als “Kistenschieber” betitelt. Doch kommt ihnen neben dieser sichtbaren Aufgabe eine weitere wesentlich wichtigere Aufgabe zu: sie sind eine tragende Säule der Sicherheit an Bord. Wenn die bekannten Demonstrationen zur Nutzung der Sicherheitsmasken und Notausgänge gezeigt werden, versuchen wir ja oft noch eine Mütze Schlaf zu bekommen oder sind bereits in Zeitungen und Unterlagen vertieft. Doch ihre Funktion im Rahmen der Sicherheit und Notfallvorsorge endet hier nicht. Sie überwachen die sichere Verstauung des Handgepäcks und haben dabei ein Auge auf verdächtige oder gefährliche (weil zum Beispiel betrunkene) Passagiere. Zudem haben sie eine Ausbildung für den Notfall, die regelmäßig eingeübt wird. Hilfe beim Anlegen der Masekn, Öffnen der Notausgänge, geordnetes Verlassen der Passagiere über Notausgänge und Notrutschen, Kommunikaton mit dem Flugkapitän, psychologische Hilfestellung, Erste Hilfe etc..

Auch die ehemaligen Schaffner nennen sich jetzt Zugbegleiter. Aus Sicht der Sicherheit sollte ihnen die gleiche Rolle zukommen wie den Flugbegleitern – die artistischen Übungen einmal ausgenommen. Bei meinen letzten Zugfahrten habe ich mir versucht vorzustellen, ob diese Damen und Herren sich auch nur in einer annähernd ähnlichen Rolle sehen wie die Flugbegleiter.  Ehrlich gesagt endete meine Vorstellungskraft hier immer sehr schnell. Ich habe mir vorgenommen auf einer meiner nächsten Zugfahrten bei der Ticketkontrolle einmal höflich nachzufragen:

  • Kennen Sie die Lage der nächsten Notbremse?
  • Würden Sie diese beherzt betätigen, wenn verdächtige Geräusche auftraten oder müssen dies die Passagiere tun, wie beim ICE-Unglück in Köln?
  • Sind Sie in der Lage die Pasagiere eines Waggons sicher nach draussen zu bringen und wann haben sie dies das letzte Mal geübt?
  • Wissen alle Zugbegleiter was in einem Notfall zu tun ist?
  • Funktioniert die Kommunikation zu den Kollegen und zum Zugführer?
  • Haben Sie ein wachsames Auge auf herrenloses Gepäck und verdächtige Passagiere?

Die Notwendigkeit für einen mit der Flugsicherheit vergleichbaren Sicherheits- und Katastrophenmanagementstandard zeigt die jüngste Vergangenheit. Es gab sowohl schwere Zugunglücke als auch Terroranschläge auf Züge.

Wie gesagt ein subjektiver Eindruck – ich lasse mich gerne eines Besseren belehren.

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