Lessons learned: Großbrand im Großklinikum

Klinikum AachenEs gibt wenige gut dokumentierte Notfälle und sehr viel weniger veröffentlichte Berichte über Erfahrungen in konkreten Notfällen.

Detlef Klimpe, Direktor des Universitätsklinikums Aachen, hat seine Erfahrungen mit dem Notfallmanagement beim Großbrand des Großklinikums in einem Buchbeitrag veröffentlicht.

1995 kam es im Universitätslinikum Aachen zu einem Großbrand. Das Gebäude gehört zu den größten Gebäuden Europas. Täglich bewegen sich ca. 11.000 Menschen in diesem Haus.

Das Ereignis:

Für den Austausch der nicht mehr zulässigen Halonlöschanlage in den 24 Elektroschächten mussten diese Schächte kernsaniert werden. Hierzu wurde mit einem Musterschacht begonnen. Da die Schächte Asbest enthielten wurde auf dem Dach ein großer “Staubsauger” installiert, um die asbesthaltige Luft abzusaugen.

Bei Reinigungsarbeiten entstand am 13. April 1995 ein Kurzschluß in diesem Schacht. Der 2000 Grad heiße Lichtbogen verursachte einen Brand, der durch die permanente Sauerstoffzufuhr infolge der Luftabsaugung stark angeheizt wurde. Löschversuche der alarmierten Feuerwehr mit Halon blieben erfolglos. Schließlich musste mit Wssser gelöscht werden. Durch die hieraus entstehende Dampfentwicklung wurde das Dach des Schachts weggesprengt, die Flammen schlugen aus dem Dach. Erst gegen 11:30 konnte der Brand gelöscht werden.

Das Notfallmanagement:

Zufällig hielt sich der Vorstand des Klinikums an diesem Gründonnerstag in einem Gebäude des Klinikums für eine Strategiesitzung auf.

Der Verwaltungsdirektor machte sich aus dieser Sitzung heraus auf den Weg zum Brandherd, um sich über die Lage zu informieren. Am Brandherd fand er folgende Situation vor:

In der Nähe des Brandherdes war der Leiter der Berufsfeuerwehr, der Einsatzleiter der Polizei, Beigeordnete der Stadt und “eine erstaulich große Zahl von Fernsehteams und Journalisten”.

“In der Eingangshalle hatten sich mittlerweile Teile des Personals versammelt, die durch Radio- und Fernsehsendungen von dem Brand erfahren hatten.”

Erste Maßnahmen wurden getroffen: Schließung von der Polikliniken, Sperrung der Eingänge und Räumung, Abmeldung von der Notfallaufnahme.

“Nach diesen ersten Maßnahmen ging der Verwaltungsdirektor – den Katastrophenplan unter dem Arm – zum Ärztlichen Direktor, um die Lage und das weitere Vorgehen zu besprechen. Der Katastrophenplan wurde sehr schnell wieder zur Seite gelegt, weil er keine Anworten auf die Fragen gab, die in dieser Situation zu behandeln waren. Allerdings war dem Verwaltungsdirektor aus der Zeit der Erstellung des Katastrophenplans noch in Erinnerung geblieben, dass ein bestimmter Raum für den Krisenstab vorgesehen war und dass es Krisentelefone gab, die nach einem bestimmten System geschaltet werden konnten.”

Der Raum für den Krisenstab wurde aktiviert. “Es waren auch verschiedene Mitarbeiter in der Nähe, die sich für den Krisenstab einspannen ließen”. Der Schrank mit den Krisentelefonapperaten mußte aufgebrochen werden, da er bei der Hausfeuerwehr deponiert war, die aber mit der Brandbekämpfung beschäftigt war.
Gegen 10:00 Uhr wurden alle Klinikdirektoren zu einer Lagebesprechung einberufen und über die Lage informiert.

Aufgrund der drohenden Totalabschaltung der Klimaanlage wurde die Totalevakuierung des Gebäudes vorbereitet. Die Vorbereitungen der Evakuierung wurden um 11:30 Uhr nach Löschung des Brandes abgebrochen.

Lessons learned aus Sicht des Betroffenenen:

Gut funktioniert hat generell die Notfallpanung, die einen engen Bezug zu Routinetätigkeiten aufweisen. Hierzu gehörte die Arbeit der Hausfeuerwehr, Nachrichtentechnik, Patientenadministration und ärztliche und pflegerische Tätigkeiten, so der Verwaltungsdirektor.

Schlecht oder gar nicht funktioniert haben die Planungsteile, die keinen Bezug zur Routinetätigkeit aufweisen. Hierzu zählte die vorgesehene Alarmierung der Funktionsträger und die Zusammensetzung des Krisenstabs: “… war während des Brandes festzustellen, dass Funktionsträger die für ihre Funktion vorgesehenen Aufgaben im Krisenmanagement nich übernommen haben, während andere Personen ohne vorgegebene Funktion im Krisenstab wertvolle Beiträge geleistet haben.”

“Aus der Sicht des Handelnden aber ist die Wirkung von konventionellen Katastrophenplänen und Übungen zurückhaltend zu bewerten. Katastrophenpläne müssen sein, daran besteht kein Zweifel. Sie sind allerdings eher etwas für stille Stunden. Im Krisenfall nämlich werden Entscheidungen so schnell abgefordert, dass die Zeit zum Blättern in einem dicken Ordner nicht vorhanden ist.”

“Nicht alle Funktionsträger sind automatisch auch Strategen und können im Extremfall die Arbeit eines Krisenstabs eher behindern als fördern.”

“… wird die Wirkung von Presse und Politik bei der Katastrophenplanung unterschätzt. …Presse und Politik bestehen auf der Präsenz von Funktionsträgern.”

Als Konsequenz aus diesen Erfahrungen wird im Univeritätsklinikum Aachen auf die ständige Verfügbarkeit eines Krisenteams geachtet. In einer kleinen Arbeitsgruppe wurden neue Strategien für den Umgang mit Krisensituationen erarbeitet. Ein Ergebnis war die Entwicklung einer Computersimulation zum Krisenstabstraining unddie Durchführung zweitägiger Trainings zum Krisenmanagement mit den verschiedenen Berufsgruppen am Klinikum.

Soweit die ausführlichen Beschreibungen der Abläufe im Großklinikum Aachen durch Detlef Klimpe.

Anmerkungen:

Das Ereignis ist zwar schon einige Jahre her, die Erkenntnisse aus der Bewältigung dieser Krisensituation allerdings sind “brandaktuell”.

  • Wie detailliert und umfangreich sollen die Notfallpläne sein?
  • Was sollen sie beinhalten?
  • Wie können sie aktuell gehalten werden?
  • Funktionieren sie auch im Ernstfall?

Dies sind Fragen, die in jedem Projekt zur Erstellung eines Notfallmanagementkonzepts früher oder später gestellt werden und geklärt werden müssen.

Die klassische Erstellung von Notfallpänen geht von vordefinierten Szenarien aus, für die konkrete Handlungsanweisungen “Procedures”definiert werden können, die bei Eintritt dieses Szenarios abgearbeitet werden.

Diese Procedures finden sich idealtypisch in der Luftfahrt, aber auch in der IT.

Jeder Pilot trainiert diese Procedures, um zum Beisppiel bei Ausfall eines Triebwerks schnell und adäquat reagieren zu können. Für Backup und Recovery gibt es in der IT detailierte Procedures, um Fehler im Operating zu verhindern.

Bei Szenarien, die im Detail nicht vorgeplant werden können, versagen jedoch vorgeplante Procedures. Der Ausfall eines Gebäudes, Personal oder kritischen Geschäftsprozesses findet immer unter ganz spezifischen Rahmenbedingungen statt, die nicht im Detail vorhergesehen und vorgeplant werden können. Steht gerade der Jahresabschluß an oder ein wichtiger Vertragsabschluss mit einem Kunden? Ist gerade Urlaubszeit oder Urlaubssperre der Erstellung des Jahresabschlusses?

Hier helfen detaillierte Procedures nicht weiter. Gefordert ist hier vielmehr die Fähigkeit, die Situation “Lage” schnell erfassen zu können, um auf Basis dieser Informationen die adäquaten Manegemententscheidungen treffen zu können. Dies bedingt eine Auseinandersetzung des vorgesehenen Krisenmanagements mit solchen Situationen in Form von Simulationen und Übungen sowie die Verfügbarkeit der relevanten Informationen zum Beispiel durch ein aktuell gehaltenes BCM-Tool.

Aufbau und Konzeption der Notfallplanung müssen daher auf die spezifische Situation angepasst werden. Procedures für eindeutige und klare Szenarien, Entscheidungsunterstützungssysteme und Krisenmanagement Know How für kompexe und dynamische Notfallsituationen.

Quelle:

Der Großbrand im Großklinikum, Detlef Klimpe;

in: Ja, mach nur einen Plan, Stefan Strohschneider, Rüdiger von der Weth (Hrsg.),

Verlag Hans Huber Bern, 2. Auflage 2002

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